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„Wir behandeln Menschen, nicht Krankheiten“

Seit 1. Oktober 2022 hat der steirische Humantechnologie-Cluster mit Lejla Pock eine neue Chefin.
In einem Gespräch mit "botenstoff"-Redakteur Franz Zuckriegl skizziert sie ihre Pläne für die kommenden Jahre und reflektiert den Wandel in der Life Science Branche und im Cluster.
Lejla Pock
Beschriftung
Lejla PockBeschriftung

Der Gesundheitsexperte Siegfried Meryn schreibt davon, dass man im Zuge des Wandels der Gesundheitssysteme alte Systeme „loslassen“ bzw. „verlernen“ müsse. Welche „alten, nicht mehr passenden Systeme“ sollte man Ihrer Meinung nach am schnellsten vergessen?

Lejla Pock: Da gibt es viele. Wir müssen grundsätzlich darauf achten, neben der Behandlung von Krankheiten den Fokus mehr auf die Erhaltung der Gesundheit zu richten. In Schweden lebt man im Schnitt 70 Jahre gesund – in Österreich sind es nur 58 Jahre. Digitale Innovationen können hier einen wichtigen Beitrag zur Prävention und Früherkennung von Krankheiten leisten und sehr effizient in der Diagnostik und Therapie, bei der Pflege und in der Nachbetreuung unterstützen.

Darüber hinaus ermöglichen digitale Anwendungen auch ganz neuartige Versorgungsmodelle. In unserer Gesundheitswirtschaft braucht es einen ausgesprochen langen Atem, um digitale Innovationen ins System zu bringen. Märkte am Rande Europas haben aus ihrer Not eine Tugend gemacht: Sie kämpfen mit der Abwanderung von medizinischem Personal und Arbeitskraft, und eine durchgängige Gesundheitsversorgung ist aufgrund geografischer Gegebenheiten besonders schwer. Daher sind sie in Bezug auf neue, digitale Gesundheitstechnologien sehr aufgeschlossen und positionieren sich inzwischen als „early adopters“. 

Es wäre schade, wenn unsere Investitionen in F&E erst über den ausländischen Umweg hier zur Anwendung kommen.

Zwei Felder werden immer wieder genannt, wenn es um die „großen Veränderungen“ geht: Digitalisierung, aber auch Nachhaltigkeit. Welche „Changes“ sehen Sie da in naher Zukunft für die Gesundheitswirtschaft und die Life Sciences?

Hier denke ich an den immer individuelleren bzw. personalisierten Zugang in der medizinischen Versorgung. Die „Präzisionsmedizin“ profitiert stark von der Digitalisierung – denken Sie nur an die automatisierten Analyse- und Diagnostik- Systeme! Hier haben wir in der Steiermark ein großes Knowhow, das wir international gerne noch stärker zum Leuchten bringen könnten.

Zur Nachhaltigkeit …

Ich sehe unseren Schwerpunkt in einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung, schließlich sind wir ja ein Life Science- und Gesundheitscluster. Eine große Herausforderung in der Produktion ist es, den CO2-Ausstoß in den Life Science- und Pharma-Industrien zu verringern und den Fokus insgesamt auf eine Kreislaufwirtschaft zu lenken. Im Bereich von Wissenschaft und Forschung ist es wichtig, auf Zukunftsthemen zu setzen. In der Steiermark haben wir exzellente Forschung, die bei Zukunftsthemen die Nase vorn hat.

Welche Themen wären das?

Alle Themen, die globale Herausforderungen der Zukunft darstellen: Ressourcenverfügbarkeit, Klimawandel, Resilienz und nachhaltige Gesundheitsversorgung. In diesem Zusammenhang wird uns auch das Thema Digitalisierung bzw. die Datennutzung, Datenverfügbarkeit und Umgang mit sensiblen Daten beschäftigen. Diese spielt in einer modernen Gesundheitsversorgung eine immer wichtigere Rolle. Wir behandeln ja nicht Krankheiten, wir behandeln Menschen.
Der Zugang zu Patientendaten spielt hier eine wichtige Rolle. Und so wie wir alle Blut spenden, sollten wir alle eine Datenspende machen. Eines ist klar: Ohne Forschung gibt es im Bereich Life Sciences keine Innovation.

Der dritte Bereich, den Unternehmen und Institutionen als wesentlichen Wandel sehen, ist die demographische Entwicklung, sprich die „alternde Gesellschaft“.

Der Anteil der älteren Bevölkerung wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen, somit auch die Anzahl der chronisch kranken Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung im Alltag angewiesen sind. Es wird immer wichtiger, die Anzahl der gesunden Jahre zu erhöhen und vermehrt auf die Prävention und Früherkennung zu setzen.

Darüber hinaus soll es Menschen ermöglicht werden, möglichst lange fit und im gewohnten sozialen Umfeld zu leben. Neue Technologien können betroffene Personen – PatientInnen, Angehörige, Pflegekräfte – hier sehr unterstützen. Es ist offensichtlich, dass es in diesem Bereich einen Mangel an qualifizierten ArbeitnehmerInnen gibt. Die Attraktivität gewisser Berufsbilder muss erhöht werden, wie etwa die Pflegeberufe angesichts des Pflegemangels.

Wie sehen Sie die Ideen rund um das Thema „new work“?

Die Digitalisierung hat neue Arbeitswelten und somit auch neue Rahmenbedingungen geschaffen: Die Arbeitsumgebung muss passen, es muss flexible Arbeitszeitmodelle geben, die Arbeit muss sinnerfüllend sein – all diese Aspekte werden wir auch als Clusterorganisation forcieren. Und trotzdem: Da, wo Innovation passieren soll, müssen die Menschen auch physisch zusammen sein. Inspiration entsteht durch die Energie und den persönlichen Austausch zwischen Menschen. Diese Effekte können wir als Netzwerkorganisation wesentlich befördern.

Was genau kann der Cluster dazu beitragen?

Wir können zuerst einmal Awareness schaffen, alle Beteiligten für das Thema sensibilisieren. Und wir müssen den Stärken des Standortes zu internationaler Aufmerksamkeit verhelfen. Wenn wir international als spannender Life Science Standort bekannt sind, dann kommen auch die Talente nach Graz und in die Steiermark. Deshalb sind starke Unternehmen, ein attraktives F&E-Umfeld, eine lebendige Start-Up-Szene mit entsprechender Infrastruktur und Dienstleistungen, all dies gepaart mit einer hohen Lebensqualität, so wichtig wie Leuchtturmprojekte.

Welche konkreten Vorhaben gibt es, um die internationale Sichtbarkeit zu steigern?

In erster Linie werden wir die internationale Vernetzung verstärken, bestehendes Know-how und Projekte sichtbarer machen und neue initiieren, die im regionalen, nationalen und internationalen Kontext einzigartig sind.

Ein besonderes Asset sind die exzellente Forschung und Entwicklung, gekoppelt mit der engmaschigen Infrastruktur und dem vernetzten Knowhow am Standort. Die Med Uni Graz in Verbindung mit dem LKH-Universitätsklinikum Graz, den Unternehmenszentren ZWT I und II sowie der Biobank, all die Kompetenzzentren, Forschungs-Einrichtungen sowie Inkubationszentren – diese physische Nähe und Konzentration auf engem Raum zusammen mit einer ausgesprochen guten Kooperationskultur – das alles ist auch international nur selten anzutreffen. Ein Ziel der HTS in den nächsten Jahren ist es, diesen Wert viel stärker nach außen zu tragen und sichtbar zu machen.

Was wird sich diesbezüglich in den kommenden zwei, drei Jahren tun?

Wir möchten uns verstärkt als Anlaufstelle für nationale und internationale KMUs und Start-Ups aus dem Bereich Life Sciences und die Steiermark als einen der 10 Life Science Hotspots in Europa etablieren.

Was wollen Sie denn als neue Clusterchefin noch alles neu machen?

Zuerst einmal müssen wir unsere Strategie „HTS 2025+“, die wir im Vorjahr mit den Stakeholdern im Rahmen von Fokusgruppen erarbeitet haben, umsetzen. Die Schwerpunktfelder sind dabei neben Medizintechnik sowie Pharma & Biotechnologie auch Gesundheit und Nachhaltigkeit. Für mich ist es besonders wichtig unsere Rolle als Netzwerker, Scout, Impulsgeber und Enabler weiter auszubauen. Zu viel verraten möchte ich jedoch noch nicht!

Danke für das Gespräch!